Und hier geht es um Geschichten. Geschichten aus dem Alltag. Schöne Geschichten, traurige Geschichten. Geschichten von und über Menschen und ihr Leben, ihr Verhalten, ihre Erfolge, ihr Versagen, ihre Freude, ihren Kummer, eben ihre große kleine Welt.
Manchmal sind es nur Augenblicke oder Momentaufnahmen. Behutsame Beobachtungen und Wahrnehmungen.
Viel Aufmerksamkeit und Interesse am Menschen verleiten mich zu diesen Geschichten.
Sie regen zum Nachdenken an oder zum Schmunzeln. Sie können berühren, erstaunen oder etwas bewegen. Manche machen traurig, andere zornig.
Vielleicht findet sich der ein oder andere in diesen Geschichten wieder.
Alle Geschichten beruhen auf einer wahren Begebenheit und wurden gegen das Vergessen geschrieben.
Fast jeden Tag fahre ich auf einer Schnellstraße durch eine schöne bewaldete Gegend.
Zu Beginn der Corona-Pandemie fiel er mir zum ersten Mal auf.
Ein junger Mann, der auf dem Fußgängerweg parallel zur Straße in ausgesprochen merkwürdiger Körperhaltung ging.
Leicht vorgebeugt, den Kopf zwischen den Schultern, alles andere als locker. Er ging schnell, lief jedoch nicht.
Sein weißes T-Shirt stellte bei jeder Bewegung gnadenlos die Körperfülle zur Schau. Er schwitzte und allem Anschein nach war es für ihn sehr anstrengend, was er da tat. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.
Er sah bei dieser Aktion nicht sehr glücklich aus.
Wenn man mich gefragt hätte, ich hätte gesagt: "Das macht der morgen nicht noch einmal. Der ist froh, wenn er den Weg nach hause schafft."
Ich sollte mich irren.
Ich hatte ihn schon fast vergessen, als ich ihn am nächsten Tag wieder sah. Das gleiche Verhalten wie am Tag zuvor. Und das Tag für Tag. Immer derselbe Ablauf.
Inzwischen begann ich, auf ihn zu achten und traf ihn fast jeden Tag.
Ein Jahr lang habe ich ihn, von ihm unbemerkt, nun beobachtet. Habe regelrecht schon nach ihm Ausschau gehalten, wenn ich die Strecke wieder fuhr.
Manchmal war er nicht zur Stelle und ich fing an, mich zu fragen, wo er denn heute sei. Er wurde zu einer liebgewordenen Begegnung.
Ich fragte mich, was wohl hinter dieser Aktion steckte.
Von der Raupe zum Schmetterling
Die Zeit verging schnell, wie sie das so an sich hat und im Nu war ein Jahr vergangen und welche Verwandlung hatte er durchgemacht.
Jetzt begegnet mir ein schlanker junger Mann mit positiver Ausstrahlung.
Er hat das weiße T-Shirt gegen einen modernen, schwarzen Trainingsanzug getauscht.
Seine Haltung ist sportlich attraktiv und er geht nicht mehr, sondern er joggt.
Sein Gesicht trägt ein Dauerlächeln. Zufrieden sieht er aus oder auch glücklich.
Er hat es geschafft. Was immer ihn dazu bewogen hat - er hat es geschafft. Tag für Tag hat er daran gearbeitet.
Ich kenne ihn nicht.
Aber ich bin sehr stolz auf seine Leistung und diese wunderbare Verwandlung .
Der Blumenfreund
Er ist ein älterer Herr.
Seine Rente ist klein, aber dafür ist sein Herz riesengroß.
Seine Einkäufe macht er bei einem Discounter. Dort werden auch Blumen angeboten. Meistens stehen sie draußen oder im Vorraum des Geschäftes. Ihm fällt auf, dass diese Blumen oft vertrocknet dastehen und offensichtlich nicht regelmäßig begossen werden. Und er liebt doch Blumen so sehr.
Sie sehen so traurig aus. Das macht auch ihn traurig und lässt ihn schließlich handeln.
Er spricht die Angestellten des Geschäftes an. Aber niemand kümmert es und noch viel weniger kümmert man sich um sein Anliegen.
Nach einer Weile hat er sich bis zum Geschäftsführer durchgefragt. Auch der ist weder freundlich noch einsichtig und knurrt ihn sofort an: "Hier wird nicht fotografiert !" Er entgegnete sehr gelassen, denn er ist ein freundlicher und zugewandter Herr: "Ich habe gar keinen Fotoapparat, aber die Blumen brauchen Wasser. Sehen Sie das nicht?" Und wieder passiert nichts. Also beschließt er, selbst etwas zu tun.
Er geht nach hause und holt seine kleine grüne Gießkanne. Nun trabt er mit seiner kleinen Gießkanne - eine große kann er mit Wasser gefüllt nicht tragen - denn er ist wirklich schon ein älterer Herr, tagtäglich mehrmals zum Discounter und gießt dort die Blumen.
Mich hat das sehr berührt und gleichermaßen gefreut.
Flügelschlag der Glücksbringer
Ein schöner Frühlingstag und wir beschließen, die ersten Sonnenstrahlen zu nutzen und am Fluss spazieren zu gehen. Es gibt nichts Schöneres.
Nach einer Stunde Spaziergang signalisiert das alte Hundemädchen, dass wohl eine Pause angesagt wäre.
Wir setzen uns in die Wiese, die Sonne scheint, und dösen friedlich im Gras. Ein guter Ort, um seinen Gedanken nachzuhängen. Der Hund liegt entspannt im Gras und es herrscht Stille.
Ein Marienkäfer hat sich im Hundefell niedergelassen. Ich nehme ihn vorsichtig auf die Fingerspitze und puste ihn wieder in die Freiheit.
Da sehe ich auf meiner Kleidung einige Käfer. Das sind ja viele. Wo kommen die denn her? Und es werden mehr. Die Luft ist voll von Marienkäfern. Mit ihren kleinen Flügeln kommen sie angeflogen und lassen sich auf uns nieder. Das habe ich noch nie gesehen. Auch im Hundefell sind nun einige gepunktete Flieger. Den Hund stört es offensichtlich nicht.
Ein Spaziergänger kommt vorbei und ruft mir zu: "Sie sind ja voller Marienkäfer - das bringt aber ordentlich Glück."
Er hat recht: Frühling, Sonne, Frieden und dazu soviel Natur - und alles nur für mich - das macht glücklich. Und Glück können wir doch alle und immer brauchen.